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10.04.2020 Kategorie: Gemeinde

Der König und das Bettelmädchen

Eine Andacht für die Karwoche. Es gibt sie auch als Audiodatei zum Anhören bei den Medien.

Es war einmal ein König, der über ein großes Reich herrschte. Und wie er so durch sein Land ritt, da sah er im Schmutz der Straße ein junges Bettelmädchen. Er blickte sie an und fand sie sehr schön.

Und von dem Moment an ging dem König das Bettel­mädchen nicht aus dem Sinn. Er hatte sich Hals über Kopf in sie verliebt. Aber was sollte er nun tun?

Er konnte sie an den Königshof kommen lassen, ihr die schönsten Kleider geben und sie zu seiner Frau machen. Niemand in seinem Reich hätte es wahrscheinlich gewagt, dagegen nur ein Wort zu sagen! Niemand hätte es dem König verwehren können, das Mädchen zu heiraten! Doch in des Königs Herzen erwachte die Sorge, ob das Mädchen dadurch wohl glücklich werde?

Wenn aber nicht, wäre es dann nicht besser, wenn sie in ihrer kleinen Hütte bleibt – arm, aber frei und zufrieden mit ihrem bescheidenen Leben?

So reifte in dem König ein Plan: Er wollte dem Bettelmädchen als Bettler begegnen. Er nahm seine Königskrone ab, legte sein Ornat beiseite und zog sich Lumpen an. So verließ er heimlich das Schloss und machte sich auf den Weg ...

 

Liebe Leserinnen und Leser,

wie dieses Märchen wohl ausgeht? Verliebt sich das Bettelmädchen in den König? Werden sie heiraten und glücklich und zufrieden leben bis ans Ende ihrer Tage? Oder kann eine große und märchenhafte Liebe gar nicht mit solch einer Täuschung beginnen?

Denn der König ist und bleibt doch König auch im Gewand eines Bettlers! Was also wird passieren, wenn der König sich dem armen Mädchen eines Tages zu erkennen gibt? Irgendwann kommt doch die Stunde, wo der König die Maske fallen lassen muss.

Oder kann der König dauerhaft ihr Herz gewinnen, indem er alles hinter sich lässt und sein Königreich einem andern schenkt? Wenn die Lumpen, in die er sich kleidet, also keine Verkleidung wären, sondern er wirklich zu ihresgleichen wird! Aber wäre er dann noch er selbst oder verrät er dadurch seine eigene Herkunft und Identität? - Was macht die Identität des Königs aus? Und wie sehr kann er sich um der Liebe willen verwandeln?

 

Liebe Leserinnen und Leser,

einige von Ihnen wissen es vielleicht, dass dieses Märchen nicht aus der Feder der Gebrüder Grimm, sondern aus der Feder des dänischen Philosophen und Theologen Sören Kierke­gaard stammt. Er hat das Märchen vom König und dem Bettelmädchen erfunden, um mit diesem Märchen die wichtige Frage zu beleuchten, wie das zusammenpasst bzw. zusammen ge­dacht werden kann, dass Jesus Christus, Gottes Sohn, wahrer Mensch und wahrer Gott zugleich gewesen ist?

 

Was genau hat Gott da gemacht, als er sich in Jesus Christus selbst entäußerte und Menschengestalt annahm, wie Paulus im Philipperbrief schreibt: „Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.“ (Phil. 2,6-8)

 

Hat Gott da bloß die Gestalt eines Menschen angenommen oder ist er wirklich ganz und gar Mensch geworden?

 

In dem Märchen verkleidet sich der König ja einfach als Bettler! Aber selbst wenn er sein ganzes Leben lang so tun würde, als sei er ein Bettler, bleibt er doch ein König, der sich als Bettler ausgibt. Bei Gott ist es anders, sagt Paulus! Gott nimmt er nicht einfach nur die äußere Gestalt von uns Menschen an. Er verkleidet sich nicht als Mensch, sondern er wird Mensch! Ganz und gar! Er macht von der Geburt bis zum Tod alles mit, was unser Menschsein ausmacht.

Es ist nicht so, dass Gott einen Menschen spielt, sondern: Er lässt seine Gottheit im Himmel und wird in Jesus Christus ein Mensch so wie Sie und ich! - Und warum? - Weil er uns liebt! In diesem Punkt stimmt Gott ganz und gar mit dem König aus dem Märchen von Sören Kierkegaard überein!

 

Und dass Gott uns wirklich liebt, sehen wir, wenn wir auf Jesus Christus schauen, der Nächstenliebe nicht nur gepredigt, sondern auch gelebt hat. Er ist zu den armen Menschen auf der Straße gegangen und hat ihr einfaches Leben geteilt! Er ist zu den Ausgestoßenen und Kranken gegangen und hat sie mit ihrem Leid nicht alleine gelassen. Und er hat selbst großes Leid durchgemacht und ist gestorben! Denn geboren werden und sterben gehört zum Mensch­sein dazu!

 

Im Wochenpsalm für die Karwoche fleht der Psalmbeter: „Gott, hilf mir! Das Wasser steht mit bis zum Hals. Ich versinke im tiefen Schlamm, meine Füße finden keinen Halt mehr.“ (Ps. 69,2f.) Ist das nicht ein passendes Bild und Gebet für die Karwoche 2020, in der unsere Ängste und Sorgen wegen der Corona-Pandemie uns so stark einengen und uns zuweilen die Luft zum Atmen nehmen?

 

Wenn wir auf das Märchen vom König und dem Bettelmädchen blicken, dann sind wir alle Bettler – Bettler, die im Schlamm feststecken und sich nicht selbst befreien können! Bettler allerdings, die selber König sein wollen! Wie oft versuchen wir so zu tun, als wären wir die Allergrößten! Ja, wir sind Bettler, die Könige sein wollen! Die mit Kräften versuchen, sich aus dem Schlamassel, in den sie sich hineingeritten haben, an den eigenen Haaren herauszuziehen!

 

Der Apostel Paulus erinnert uns daran, dass der, der an höchster Stelle thront, es genau umgekehrt gemacht hat: Er hat „Knechtsgestalt“ angenommen, wie es im Philipperbrief heißt, statt seine Freiheit über alles zu stellen! Er hat seine Herrlichkeit im Himmel gelassen, um uns aus dem Schlamm zu ziehen. Ja, er ist nicht der ferne und unnahbare Gott, sondern er ist bei uns - gerade in den Krisen unseres Lebens und in den Zeiten des Leidens und Sterbens!

 

Liebe Leserinnen und Leser,

Gott ist für uns den Weg vom König zum Bettler in Jesus Christus mit aller Konsequenz gegangen. Sein irdischer Weg endet am Kreuz auf Golgatha.  Aber Sterben, Leid und Tod haben nicht das letzte Wort. Das letzte Wort hat die Liebe Gottes! ... Aber davon will ich Ihnen erst am Ostersonntag mehr erzählen oder schreiben.

 

Bis dahin bleiben sie mir Gott befohlen!

 

Ihr Pf. Jörg Schubert

Foto: Jörg Schubert

Beitrag von Pf. Jörg Schubert